Der Dom und ›die Juden‹ - Einleitung
Die Ausstattung des Kölner Doms ist Ausdruck gelebten Glaubens und kultureller Vielfalt der jeweiligen Entstehungszeit.
Darunter ist eine ganze Reihe von Kunstwerken, die die christliche Sicht der jeweiligen Zeit auf das Judentum widerspiegeln. Viele davon sind – in Teilen oder als Ganzes - Zeugnisse einer erschreckenden Judenfeindschaft und werden zu Recht als hochproblematisch angesehen.
Der christliche Antijudaismus mündete vielfach in der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung und ihrem Ausschluss aus der Gesellschaft. Er war auch Wegbereiter für den modernen Antisemitismus.
Als Christen fühlen wir uns einer dauerhaften kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema verpflichtet. Das Kölner Domkapitel bietet hierfür diesen virtuellen Rundgang an.
Bereits zu Anfang des 4. Jahrhunderts belegen zwei unabhängige Quellen die Koexistenz einer christlichen und einer jüdischen Gemeinde im spätrömischen Köln: 313 wird Maternus als Bischof namentlich erwähnt und nur acht Jahre später, 321, lässt ein Gesetzeserlass Kaiser Konstantins erstmals den Rückschluss auf das Bestehen einer jüdischen Gemeinde zu – zugleich der älteste Nachweis dieser Art nördlich der Alpen.
Im Verlauf des Mittelalters entwickelt sich bald eine auf Einheitlichkeit und Homogenität ausgerichtete christliche Gesellschaft mit einem allgemein verbindlichen, von der Kirche definierten Glauben. Daneben waren die Juden die einzige geduldete gesellschaftliche Gruppe, die, aufgrund ihrer permanenten Diasporasituation, auf ihre religiöse Eigenständigkeit bedacht war. Von der christlichen Mehrheitsgesellschaft wurden sie als dauerhafter Fremdkörper behandelt.
Wie an vielen anderen Orten durchläuft das Verhältnis von Juden und Christen auch in Köln verschiedene Phasen, die von einem respektvollen Miteinander über ein mehr oder weniger nachbarschaftliches Nebeneinander bis hin zu einem sich immer deutlicher abgrenzenden Gegeneinander reichen. Seitens der christlichen Mehrheit schlägt die Duldung zunehmend in Ausgrenzung und Aggression um und gipfelt in einer ausgesprochenen Judenfeindschaft. Ausbrüche von Gewalt steigern sich zu fürchterlichen Pogromen und führen 1349 und 1424 zur Vertreibung der Juden aus der Stadt.
Gleichzeitig aber waren die Kölner Erzbischöfe, deren Kathedrale der Dom bis heute ist, Schutzherren der Juden und stellten ihnen, wenn auch durchaus aus Eigennutz, seit Mitte des 13. Jahrhunderts Schutzbriefe aus. Später hat dies auch die Stadt getan und gemeinsam ermöglichten sie so eine selbstverwaltete jüdische Sondergemeinde in der Stadt.
Harald Schlüter
Als kulturelles Gedächtnis der Stadt ist der Kölner Dom wie kaum ein anderer Ort geeignet, sich mit den unterschiedlichen Zeugnissen der christlichen Sicht auf das Judentum auseinanderzusetzen. Die zahlreichen Objekte und Bildzeugnisse, die im Laufe der Jahrhunderte entstanden sind und sich im und am Dom bis heute erhalten haben, fordern uns dazu auf, das Selbstverständnis, aus dem heraus sie geschaffen wurden, als nicht oder nicht mehr selbstverständlich anzusehen. Vielmehr müssen sie kritisch hinterfragt und der historische Kontext ihrer Entstehung in den Blick genommen werden, um sich mit den mentalitäts- und sozialgeschichtlichen Folgen auseinanderzusetzen.
Es geht also um nichts Geringeres als darum, die Macht der Bilder nachzuvollziehen, das schleichende Gift bildlicher Darstellungen zu erkennen und deren suggestive Unterstellungen zu durchschauen. Die wachsende Judenfeindschaft wurde von frühchristlichen Theologien genährt, die in der Auseinandersetzung über die gemeinsamen Wurzeln zu apologetischer Abgrenzung und einem ausgeprägten Antijudaismus geführt haben. Dabei hat sich der Vorwurf zunehmend von der Frage der Anerkennung Jesu als Sohn Gottes oder Messias hin zur Unterstellung der Schuld an dessen Tod verlagert und in letzter Konsequenz zur ungeheuerlichen Anschuldigung geführt, die Juden hätten einen Gottesmord begangen. Gleich das älteste erhaltene, Anfang des 13. Jahrhunderts entstandene Beispiel am Dreikönigenschrein, bei dem in der Geißelungsszene die römischen Soldaten durch Juden mit kegelförmigem »Judenhut« ersetzt worden sind, steht für diese verhängnisvolle Auslegung. In den beiden typologischen Bibelfenstern dient diese Kopfbedeckung aber offensichtlich nur der Kennzeichnung der Repräsentanten des Alten Bundes. In die Entstehungszeit dieser Fenster fällt auch das steinerne Dokument des Judenprivilegs.
Anfang des 14. Jahrhunderts entstehen die äußerst diffamierenden und abstoßenden Darstellungen eines Ritualmordes sowie einer sogenannten »Judensau« im Chorgestühl. Kurz zuvor war Letztere bereits als Wasserspeier am Chor versetzt worden. Die wenig später entstandenen Chorschranken illustrieren das heikle Thema der Judenkonversion. Im frühen 16. Jahrhundert drückt die Darstellung der Wurzel Jesse aus, dass der Glaube an Jesus in seiner Verbindung mit den jüdischen Vorfahren gründet, während die von Viktor von Karben gestifteten Figurengruppen die Überlegenheit des Konvertiten vorführen.
Im 19. Jahrhundert wurden Fensterstiftungen getätigt, die einerseits erneut klischeehafte Stereotypen bedienen, andererseits vom Engagement jüdischer Mitbürger für die Fertigstellung des Domes in jener Zeit zeugen. Schließlich ist das erst in jüngster Zeit mit seinen latent antisemitischen Zügen entlarvte Bildprogramm des zwischen 1960 und 1965 entstandenen »Kinderfensters« als ein Zeugnis einer zur Schau getragenen vorgeblichen Ahnungslosigkeit der frühen Nachkriegsgesellschaft entlarvt worden.
Für Christen ist es eine bleibende Aufgabe, nicht nur die abwertenden Stereotypen, Klischees und negativen Konnotationen der im Laufe der Jahrhunderte geschaffenen Bildwerke offenzulegen, sondern deren fatale Folgen in Erinnerung zu halten.
Harald Schlüter
2006 widmeten das Kölner Dombauarchiv und die Karl-Rahner-Akademie dem Thema »Der Kölner Dom und ›die Juden‹« ein wissenschaftliches Kolloquium, dessen Beiträge 2008 im Kölner Domblatt, dem Jahrbuch des Zentral-Dombau-Vereins (ZDV) veröffentlicht wurden.
Eine Initiative der Kölnischen Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, die 2015 an Dompropst Gerd Bachner herangetreten war, führte 2016 zur Einrichtung der Arbeitsgemeinschaft (AG) »Der Dom und ›die Juden‹«, welche sich zum Ziel gesetzt hat, die notwendige Auseinandersetzung mit den antijüdischen Artefakten im und am Dom fortzuführen und einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.
Aus diesem Grund und da das Kölner Domblatt von 2008 aufgrund der großen Nachfrage in relativ kurzer Zeit vergriffen war, wurde es im Jahr 2018 dank der Finanzierung durch den ZDV als Sonderdruck neu aufgelegt.
Um die wichtigsten Ergebnisse des Kolloquiums auch einem breiten Publikum vorzustellen, erschien 2021 im Kölner Domverlag die vom Metropolitankapitel der Hohen Domkirche herausgegebene Broschüre »Der Kölner Dom und ›die Juden‹. Ein thematischer Rundgang«. Im selben Jahr war im Kölner DOMFORUM eine Informationsausstellung zu dem Thema zu sehen, die anschließend im Dreikönigssaal des Domes präsentiert wurde. Alle Texte und Bilder der Ausstellung wurden in einer Broschüre veröffentlicht. Die Ausstellung soll auch in Zukunft immer wieder gezeigt werden.
Auf der Basis der hier leicht gekürzten Texte der Broschüre wurde 2023 der vorliegende digitale Themenrundgang auf der Website des Kölner Domes entwickelt.
Isaiah Shachar: The Judensau. A medieval anti-jewish motif and its history (= Warburg Institute Surveys & Texts, Bd. 5), London 1974.
Judaica. Kölnisches Stadtmuseum, bearb. von Liesel Franzheim, hg. von Hugo Borger und Heiko Steuer, Ausstellungskatalog, Köln 1980.
Der Kölner Dom und ›die Juden‹. Fachtagung der Karl Rahner Akademie Köln in Zusammenarbeit mit der Dombauverwaltung Köln vom 18. bis zum 19. November 2006 (=Kölner Domblatt, Sonderband), hg. von Bernd Wacker und Rolf Lauer, 2. Auflage, Köln 2018.
Bernd Wacker: Ostentative Ahnungslosigkeit. Das sogenannte Kinderfenster im Kölner Dom. Geschichte, Theologie und Ideologie, in: Kölner Domblatt 85, 2020, S. 190-227.
Anno 321. Jüdisches Leben in Deutschland, hg. von Thomas Otten und Jürgen Wilhelm, Köln 2021.
Der Kölner Dom und ›die Juden‹ Ein thematischer Rundgang, Köln, 2. erweiterte Auflage 2024
Der Kölner Dom und ›die Juden‹. Zur christlichen Sicht auf das Judentum. Broschüre zur Ausstellung im DOMFORUM 2021, Köln 2021.
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