Der Dom und ›die Juden‹-Verkündigung und Heilige Familie
Auf einen einzigen Stifter gehen gleich zwei Skulpturengruppen im Dom zurück, die um 1510 entstanden sind.
Die aus den Figuren des Erzengels Gabriel und der Gottesmutter Maria bestehende Verkündigungsgruppe ist an zwei Pfeilern einander gegenüber im Südquerhaus angebracht. Das Ensemble der Heiligen Familie in der Marienkapelle umfasst gleich mehrere Figuren: Anna Selbdritt (Anna, Maria, Jesuskind) im Zentrum wird begleitet von den hll. Barbara und Joachim zur Linken sowie Joseph und Katharina zur Rechten. Dargestellt sind also neben Jesus, Maria und Joseph die Eltern Mariens, Anna und Joachim, sowie die hll. Barbara und Katharina, erkennbar an ihren Attributen Turm und Rad.
Gleich zweimal gibt sich der Stifter zu erkennen, der jeweils kniend und betend zu Füßen des Engels der Verkündigungsgruppe sowie – Maria und dem Jesuskind zugewandt – der Anna Selbdritt in der Kleidung eines Geistlichen dargestellt ist. Beide Male benennt ihn eine Inschrift, die noch viermal wiederholt wird, als »Victor sacerdos olim Judeus« (der Priester Victor, einst Jude).
Um 1423 als Jude geboren, benannte sich Victor oft nach seinem hessischen Herkunftsort als »von Karben«. Angeblich war er Rabbiner, bis er sich etwa 1473 taufen und einige Jahre später zum Priester weihen ließ. 1486 erfolgte seine Immatrikulation an der theologischen Fakultät der als konservativ geltenden Kölner Universität. In späteren Jahren führte Victor im Beisein des Erzbischofs ein Streitgespräch mit einigen Rabbinern. Europaweites Echo löste die Kontroverse um die Publikation »Judenspiegel« (1507) des in Köln lebenden Konvertiten Johann Pfefferkorn aus, in dem dieser Beschlagnahme und Verbrennung des Talmuds und anderer jüdischer Schriften forderte. Einer entsprechenden Gutachterkommission gehörte auch Victor an, der die antijüdischen Positionen Pfefferkorns unterstützte. In seinen Schriften vertrat Victor ähnliche Meinungen und forderte die Juden offensiv zur Annahme des christlichen Glaubens auf. Dabei bediente er sich einer antijüdischen diffamierenden Ausdrucksweise. 1515, wenige Jahre nach seinen Stiftungen für den Dom, ist er gestorben.
Vor diesen Hintergründen sind die aufwendigen und kostspieligen Stiftungen Victors zu verstehen. Seine Konversion sowie die Auseinandersetzung mit dem Judentum spielen dabei eine wesentliche Rolle. Schon die Bezeichnung des Stifters als »sacerdos olim Judeus« in der Inschrift hat auch aufgrund der mehrfachen Wiederholung demonstrativen Charakter. Die klar marianische Ausrichtung des Programms der Skulpturen ist als bewusste Abkehr von der jüdischen Religion zu verstehen, in der die Jungfräulichkeit und Gottesmutterschaft Mariens abgelehnt werden, bezeugt aber auch die Marienverehrung des Konvertiten. Die beiden Heiligen Barbara und Katharina waren beliebte Heilige des späten Mittelalters. Womöglich sieht sich der Stifter in ihrer Nachfolge, da sie als getaufte Heiden für den christlichen Glauben das Martyrium erlitten. Victor von Karben dokumentiert mit seiner aufwendigen Stiftung gleichsam öffentlich die völlige Abkehr von seiner angestammten Religion, während das Domkapitel mit der Genehmigung der Stiftung im zeitgleichen Streit um die Positionen Pfefferkorns seine eindeutig antijüdische Position untermauerte.
Joachim Oepen
Zu Füßen des Erzengels kniet der Stifter Victor von Karben. Auf dem Sockel der Figur steht die lateinische Inschrift.